Die Belt and Road-Initiative – Mehr Chancen als Risiken für westliche Unternehmen..?!

Am 7. September 2013 kündigte der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping an der Nazarbaev-Universität in Astana den Aufbau eines gigantische Infrastrukturprojektes an. An der Belt and Road-Initiative (BRI) beteiligen sich inzwischen mehr als 70 Länder, die ca. 2/3 der Weltbevölkerung repräsentieren. Zunächst standen der Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel („Belt“), also der Landweg von China über Zentralasien und den Nahen Osten bis nach Europa sowie die maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts („Road“), nämlich der Seeweg von Südchina über Südostasien, Indien, Sri Lanka und vorbei an Ostafrika ebenfalls bis nach Europa im Fokus. Heute existieren bereits zahlreiche Erweiterungen und Abwandlungen des ursprünglichen geostrategischen Projektes. Es gibt sowohl funktionale Erweiterungen, wie beispielsweise die „digitalen Seidenstraße“ oder die „Seidenstraße der Gesundheit“ sowie geographische Varianten, wie etwa die „Polare Seidenstraße“. China investiert weltweit mehrere hundert Milliarden Euro in zahlreiche Infrastrukturmaßnahmen.

Prof. Dr. Michael Schüller (Foto: Michael Schüller)

Le Yucheng, Chinas stellvertretender Außenminister, bringt die Strategie offenbar auf den Punkt: „Wir Chinesen sagen oft, wenn du reich werden willst, musst du erst Straßen bauen“. Doch geht es tatsächlich nur um den wirtschaftlichen Erfolg für die Volksrepublik China? Handelt es sich bei der BRI um einen geschickten geopolitischen Schachzug der chinesischen Regierung, um die angestrebte Vormachtstellung der Volksrepublik weiter auszubauen? Oder ermöglicht die BRI dem Westen und insbesondere westliche Unternehmen neue wirtschaftliche Chancen?

Insofern ist diesen Fragen nachzugehen:

  1. Ist die BRI ein rein chinesisches Projekt, welches der chinesischen Wirtschaft dienen soll?
  2. Was hat Europa mit der BRI zu tun?
  3. Welche Rolle können westliche Unternehmen in der BRI einnehmen?

Zu 1.: Ist die BRI ein rein chinesisches Projekt, welches der chinesischen Wirtschaft dienen soll?

Selbstverständlich hat die chinesische Regierung ein eigenes Interesse an einem geographischen Ausbau ihrer Geschäftsbeziehungen. Das wirtschaftliche Wachstum Chinas der letzten Jahre flacht zunehmend ab, so dass inzwischen eine Expansion strategisch nachvollziehbar ist. Zudem existieren in einigen chinesischen Branchen Überkapazitäten, die anderweitig eingesetzt werden wollen. Durch eine reine Binnennachfrage wird dies nicht gelingen. Überdies steigt die Qualität der chinesischen Produkte, so dass sich China immer mehr zu einem qualitativ hochwertigen Exportland entwickeln wird. Demzufolge ist es nachvollziehbar, dass die BRI zunächst Infrastrukturprojekte umfasst, die einen ungehinderten Warenaustausch zwischen den Wirtschaftsräumen des eurasischen Kontinents und darüber hinaus, zum Beispiel auch nach Afrika, ermöglichen.

Es gilt aber auch zu beachten, dass in strukturell bislang wenig erschlossenen Gebieten entlang der BRI neue Wirtschaftsräume entstehen. Zu nennen sind hier insbesondere zentralasiatische Staaten, die über die neue Seidenstraße gewissermaßen an den Welthandel angeschlossen werden, so dass in diesen Ländern nicht nur reine Absatzmärkte für chinesische Produkte entstehen, sondern auch eigene Industriestandorte aufgebaut werden können. Insofern führt die BRI zu einer neuen Vernetzung unterschiedlicher Wirtschaftsräume und Industriegebiete, die bislang in dieser Intensität noch nicht bestand.

Es lässt sich also konstatieren, dass die BRI sicher der chinesischen Wirtschaft dienen wird. Doch beteiligten Staaten wird eine Partizipation ermöglicht, die es in dieser Form bisher nicht gab.

Zu 2.: Was hat Europa mit der BRI zu tun?

Der Terminus Seidenstraße mag suggerieren, es handele sich bei der BRI um eine Verbindung zweier Punkte (China – Europa). Dem ist keinesfalls so. Es wird daher auch zunehmend von den Seidenstraßen (Plural) gesprochen, um zu verdeutlichen, dass die BRI ein geographisch umfangreiches Netzwerk repräsentieren soll. Europa ist integraler Bestandteil dieses Netzwerkes; nicht nur weil inzwischen zahlreiche Zugverbindungen aus China in Europa, beispielsweise in Duisburg oder Hamburg enden. Längst existieren BRI-Infrastrukturmaßnahmen auch innerhalb Europas.

Zu nennen ist das Engagement der chinesischen Firma COSCO im Hafen von Piräus. In wenigen Jahren wuchs der griechische Hafen mit chinesischer Unterstützung zum größten Mittelmeerhafen. Doch wichtiger als die Größe ist die geographische Lage des Hafens. Transporte aus Asien/China nach Mittel- und Westeuropa lassen sich um ca. eine Woche verkürzen, wenn der Weitertransport von Piräus auf dem Landweg und nicht – wie üblich – komplett per Seefracht durch die Straße von Gibraltar durchgeführt wird.

Als Ergänzung hierzu sollte der Ausbau der Bahnlinie Belgrad - Budapest beachtet werden, der auch durch chinesische Unterstützung vorangetrieben wird. Hierbei handelt es sich um die langfristige Idee, in Piräus per Seeschiff ankommende Sendungen per Bahnverkehre weiter nach Zentral- und Osteuropa zu transportieren.

Ein weiteres europäisches Beispiel stellt die im Jahr 2019 geschlossene Vereinbarung zwischen Italien und China dar. Auch hier sind Investitionen im Seeverkehrsbereich, nämlich im Hafen von Triest geplant.

Zu 3.: Welche Rolle können westliche Unternehmen in der BRI einnehmen?

Westliche Unternehmen scheinen derzeit – nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie –hinsichtlich ihres BRI-Engagements zögerlich zu sein. Grundsätzlich existieren einzelne Beispiele deutscher Unternehmen. Siemens hat 2018 mehr als zehn Kooperationsvereinbarungen in den Bereichen Industrie 4.0 und Energieerzeugung mit chinesischen Staatskonzernen geschlossen. Das Unternehmen Voith hat drei 470 Megawatt-Turbinen (200 Millionen Euro) sowie die elektrische und mechanische Ausrüstung für die Erneuerung des Wasserkraftwerks Tarbela in Pakistan geliefert. Doch der große Durchbruch ist nicht festzustellen.

Bis vor wenigen Jahren war die BRI vielen Entscheidern in der Logistik noch nicht bekannt. Im Jahr 2018 gaben noch 75% der durch die Hochschule Osnabrück befragten Unternehmen an, sich noch nicht mit der Seidenstraßeninitiative beschäftigt zu haben.  Gleichwohl schätzten knapp 88% der befragten Unternehmen in China und Deutschland die Initiative als grundsätzlich positiv ein
(vgl. Kisser, C.; Schüller, M.: Empirische Studie zu den Auswirkungen der Neuen Seidenstraße auf deutsche und chinesische Unternehmen - Eine Untersuchung der Hochschule Osnabrück, Praxisworkshop China – „Neue Seidenstraße“ an der Industrie- und Handelskammer Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim, Osnabrück, 16.10.2018).

Doch inzwischen ist das Thema Neue Seidenstraße in den deutschen Unternehmen angekommen und wird darüber hinaus in zahlreichen Publikationen und auf Veranstaltungen behandelt. Dennoch existiert eine gewisse Skepsis, an den vielfältigen Chancen teilzuhaben. Grundsätzlich bieten sich Chancen für westliche Unternehmen beim Aufbau und Betrieb neuer Infrastrukturprojekte. Ebenso gilt es zahlreiche Standards mit zu entwickeln, die zukünftig in der Organisation und Durchführung vielfältiger Warenströme und Handelsbeziehungen nutzbar sein werden. Und letztlich bieten die neuen Transportwege im Eisenbahnverkehr sowie in der Schifffahrt Optimierungspotenziale in der Transportlogistik.

Demgegenüber stehen potenzielle Abhängigkeiten von der Volksrepublik, deren politische Relevanz möglicherweise deutsche Unternehmen zögern lässt, sich intensiver an der BRI zu beteiligen. Bei aller berechtigter Skepsis und Vorsicht sollten die gegenwärtig geöffneten „windows of opportunity“ nicht ungenutzt bleiben, bevor sie sich wieder schließen.

Möglicherweise lässt sich die zögerliche Haltung auch auf ein kulturelles Missverständnis zur „Win-Win-Thematik“ zurückführen. Vielleicht bietet sich in diesem Kontext eine Orientierung an der bildhaften Sprache des Herrn Wang Yiwei, Politikwissenschaftler und renommierter Forscher zum Thema Neue Seidenstraße an der Renmin-Universität in Peking, an: "Natürlich ist die Neue Seidenstraße keine Wohltätigkeits-Veranstaltung. Wenn ich Dir ein Huhn gebe und Du das einfach mit der Suppe verspeist, dann hast Du Schulden bei mir. Aber die 'Neue Seidenstraße' gibt Dir ein Huhn – und dieses Huhn soll dann Eier legen. Und dann kommen immer neue Hühner. Und die legen dann auch Eier. Und in der Zukunft zahlst Du mir das Huhn dann zurück. Die Schulden sind also langfristig kein Problem für Dich." (Quelle: http://www.deutschlandfunkkultur.de/seidenstrasse-fuer-china-altes-label-zur-neuen.979.de.print?dram:article_id=453463)

Zur Person:

Dr. Michael Schüller ist Professor für Management und Supply Chain Management an der Hochschule Osnabrück. Vor seiner Hochschulzeit war er 12 Jahre in unterschiedlichen Unternehmen tätig (z.B. Dr. Oetker, Lufthansa). Er hat das Programm Internationales Logistikmanagement in China (LOGinCHINA) an der Universität Hefei (VR China) aufgebaut und geleitet. In diesem Programm wurden chinesische Studierende in BWL mit Schwerpunkt Logistik ausgebildet. Inhaltlich beschäftigt er sich u.a. mit Themen der China-Logistik, der Neuen Seidenstraße sowie mit autonomen Fahrzeugsteuerungssystemen in der Intralogistik.