Die Zukunft der digitalen Tachographen im Straßengüterverkehr in Europa

Im Gespräch mit Dipl.-Kfm. Martin Erkel, Stratege für KMU, IT und Digitalisierung der Transportlogistik (Nutzfahrzeuge)

Martin Erkel auf der BVL-Supply-Chain CX, Berlin

Martin Erkel (Quelle: Martin Erkel)

Herr Erkel, wie wird sich der Markt für digitale Tachographen in Europa bis 2030 entwickeln, insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen Fahrzeugsegmente?

“Wir sehen hier eine wirklich dynamische Entwicklung mit unterschiedlichen Wachstumsraten in den verschiedenen Segmenten. Bei den schweren Nutzfahrzeugen (HCVs - Heavy Commercial Vehicles) erwarten wir jüngeren Untersuchungen zufolge ein moderates Wachstum von etwa 8,7% bis 2030. Der wirkliche Wachstumsmotor sind jedoch die mittelschweren Nutzfahrzeuge (MCV) mit einem prognostizierten Plus von 22% und besonders die leichten Nutzfahrzeuge (LCV) mit einem explosiven Wachstum von 29%. Was das für den Tachographenmarkt bedeutet? Eine Verschiebung des Schwerpunkts. Während 2025 der Großteil der installierten Tachographen im HCV-Segment zu finden ist, werden wir bis 2035 etwa 5 Millionen zusätzliche Tachographen allein im LCV-Segment sehen – ein Markt, der heute noch stark unterentwickelt ist.”

Was ist die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung, besonders im LCV-Segment, in der Europäischen Union?

“Der Haupttreiber ist definitiv die Ausweitung der EU-Regulierungen auf leichte Nutzfahrzeuge, zunächst insbesondere die Kabotage-Vorschriften. Wir erwarten, dass der Anteil von leichten Nutzfahrzeugen (Transporter, LCV's) im grenzüberschreitenden Verkehr von derzeit unter 5% auf über 35% der Gesamtflotte bis 2030 steigen wird. Ursache ist auch eine strukturelle Verschiebung in den heutigen Flotten. Diese kleineren Fahrzeuge benötigen dann zwingend digitale Tachographen. Dazu kommt der generelle Boom im E-Commerce, der die LCV-Flotte insgesamt stark wachsen lässt. Allein der Bereich der grenzüberschreitenden (Kabotage) Transporte könnte sich – Prognosen zufolge – bis 2030 verdreifachen. Für die etablierten und neue Tachographen-Hersteller entsteht hier ein völlig neuer Markt.”

Mit der neuesten Generation intelligenter Tachographen wie dem Stoneridge SE5000-8.1 Smart 2 Gen. 2 sehen wir neue Technologien wie OSNMA (Open Service Navigation Message Authentication). Welche Bedeutung hat diese Technologie?

“Die OSNMA-Technologie ist ein entscheidender Schritt zur Verbesserung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Positionsdaten. Sie bietet Schutz gegen sogenanntes 'GNSS-Spoofing' (GNSS: Global Navigation Satellite Systems), also die Manipulation von Satellitennavigationssignalen. Das ist besonders wichtig für die Durchsetzung von Kabotage-Regeln, bei denen es auf die genaue Position des Fahrzeugs ankommt. Der Stoneridge SE5000-8.1 Smart 2 OSNMA illustriert diesen Trend perfekt: Er nutzt Galileo – Europas Satellitensystem – und verifiziert die Echtheit der Signale. Für die Branche bedeutet dies mehr Vertrauen in die Positionsdaten und weniger Betrug, was zu faireren Wettbewerbsbedingungen führt. Das unterstützt auch die Bemühungen der EU, einheitliche Rahmenbedingungen für grenzüberschreitenden Verkehr zu schaffen.”

Wie wird sich die Rolle des Fahrers mit der zunehmenden Automatisierung im Güterverkehr verändern, und welche Auswirkungen hat das auf den Tachographenmarkt?

"Die Fahrerquote durchläuft einen fundamentalen Wandel. Heute haben wir im HCV-Segment typischerweise 1,2 bis 1,4 Fahrer pro Fahrzeug. Bis 2035 erwarten wir einen Rückgang auf 1 bis 1,2 Fahrer pro Fahrzeug, und bis 2040 könnte diese Quote mit den autonomen Strecken weiter sinken. Das bedeutet aber nicht, dass die anderen Fahrer verschwinden – ihre Rolle transformiert sich vom reinen Fahrzeugführer zum 'Mobilitätsmanager', der z.T. mehrere teilautomatisierte Fahrzeuge gleichzeitig überwacht. Für den Tachographenmarkt hat das weitreichende Konsequenzen: Die Geräte werden nicht mehr primär die Arbeitszeit des Fahrers überwachen, sondern sich zu zentralen Datenhubs entwickeln, die das Zusammenspiel zwischen Mensch und Automatisierung dokumentieren. Sie werden auch entscheidend für Haftungsfragen und rechtliche Aspekte des autonomen Fahrens sein.
Und: Die Digitale Fahrer-Compliance wird ihre zentrale Rolle beibehalten. Das System Fahrerkarte-Tachograph-Compliance-Software bleibt das rechtlich vorgeschriebene Fundament für die Sicherheit in der Transportlogistik."

Wenn Sie in die Kristallkugel schauen – wie sieht der Markt für digitale Tachographen im Jahr 2040 aus?

"Im Jahr 2040 werden digitale Tachographen kaum noch mit den heutigen Geräten vergleichbar sein. Wir sprechen dann über integrierte Transport-Management-Systeme, die nicht nur Arbeitszeiten, sondern das gesamte Verkehrsgeschehen überwachen. Die Marktgröße wird voraussichtlich auf circa 15+ Millionen Einheiten anwachsen, mit einer vollständigen Durchdringung aller gewerblichen Fahrzeugklassen.

Etwa 75% der schweren Nutzfahrzeuge könnten hochautomatisiert (Level 4/5) unterwegs sein, bei den mittelschweren etwa 60% und bei den leichten immerhin 50%. Diese Fahrzeuge benötigen Systeme, die das Verhalten der KI dokumentieren, die Übernahme durch menschliche Operatoren protokollieren und als rechtlich relevante Datenspeicher für Haftungsfragen dienen. Für Hersteller wie Stoneridge und VDO bedeutet das, dass sie sich von reinen Tachographen-Produzenten zu Anbietern ganzheitlicher Transport-Management-Lösungen entwickeln müssen. Die frühzeitige Investition in Technologien wie OSNMA zeigt, dass führende Unternehmen diese Transformation bereits begonnen haben. Auf jeden Fall werden wir in den nächsten Jahren eine äußerst spannende Entwicklung mit viel Potenzial für Innovation, Kooperation und Investitionen sehen.

Stakeholders wie Logistik-Verbände und Flottenbetreiber - vom Konzern bis zum regionalen Mittelständler - sind deshalb aufgerufen, frühzeitig die Integration digitaler Tachographen samt Compliance-Lösungen in ihren Fuhrpark anzugehen. Diese Fahrerdaten sind in die digitalen Softwarelandschaften der Unternehmen und alle Transportlogistik-Ökosysteme 360 Grad durchgängig einzubinden.

Diese umfassende Datenintegration ist das Fundament echter Digitalisierung in der Transportlogistik."

Herr Erkel, wir bedanken uns recht herzlich für das Gespräch!

Zur Person:

Dipl.-Kfm. Martin Erkel berät seit seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der TU Dresden mittelständische Unternehmen zu Innovation, Technologien und Wachstum. Neben marktorientierter Unternehmensführung, Innovationsmanagement und Technologiebewertung liegt sein Schwerpunkt auf strategischen Themen. Seit über zehn Jahren befasst er sich mit Digitalisierung und Transportlogistik. Er ist ausgebildeter KFZ-Schlosser mit LKW-Führerschein, hat also Diesel bzw. „Benzin im Blut". Seit 30 Jahren ist er aktiv in Verbänden; früher im Wirtschaftsrat der CDU e.V., heute u.a. in der Bundesvereinigung Logistik (BVL), dem Mittelstandsverband BVMW e.V. sowie dem Bundesverband Kurier-Express- und Postdienste BdKEP e.V.. Martin Erkel arbeitet im Business Development der DAKO GmbH (https://www.dako.de), Europas führendem Spezialanbieter für digitale Tacho-Compliance.

Weiterführende Links:

DAKO: https://www.dako.de/smart-tacho/
STONERIDGE: https://stoneridge-tachographs.com/en/news-events/stoneridge-unveils-se5000-8-1-smart-2-osnma-tachograph
European Comission - Mobility and Transport: https://transport.ec.europa.eu/transport-modes/road/mobility-package-i/tachographs_en