Planspiele in der logistischen Ausbildung – Das "Collaborative Container Transport Game"

Supply Chain Management (SCM) wird heutzutage – zumindest im europäischen Raum – überwiegend als qualitativ höchste Entwicklungsstufe des Logistik-Managements interpretiert (vgl. z.B. Göpfert, 2022: S. 48ff.). Als eines der wesentlichen Charakteristika des SCM wird in diesem Rahmen die Kooperation genannt. Kooperative Lösungen bieten sowohl in der Theorie als auch in der Praxis das Potenzial, wirtschaftlich effizientere Lösungen – im Vergleich zur klassischen Marktlösung - zu ermöglichen.
Auch wenn die durch Kooperation erzielbaren Gewinne bzw. Vorteile in der theoretischen Diskussion grundsätzlich eingängig und nachvollziehbar sind, so ist in der praktischen Anwendung immer wieder zu beobachten, dass Kooperationsgewinne nicht erschlossen werden, da den Entscheidenden bzw. den Verhandelnden häufig das "schon einmal erlebt haben", d.h. die tatsächliche Konkretisierung dieser Kooperationsgewinne, fehlt.

Um die Vorteile aus einer Kooperation innerhalb einer Supply Chain einmal "selber zu machen", d.h. einmal selbst erleben zu können, hat die Autorin im Rahmen des Forschungsprojektes "InnoWaTr" (finanziert durch INTERREG North Sea Region) das Planspiel "Collaborative Container Transport Game" entwickelt. Hierbei handelt es sich um ein Spiel, in dem die Spielenden entscheiden müssen, ob sie den Transport der von ihnen zu transportierenden Containern mit ihrem eigenen Binnenschiff durchführen, Transportkapazitäten ihrer Mitspielenden dafür (mit-)nutzen oder Transporte auf ihrem Schiff für Mitspielende übernehmen. Das Ziel der Spielenden ist dabei, den Transport eigener Container zu den geringstmöglichen Kosten zu realisieren. Die dazu getroffenen Entscheidungen sind das Ergebnis von Verhandlungsprozessen.

Planspiele sind in der Betriebswirtschaftslehre eine geeignete Ausbildungsmethode, die in realistischer Art und Weise das Erlernen wirtschaftlich angemessener Entscheidungen an einem Modell ermöglichen sollen. Somit sind Planspiele eine gute didaktische Alternative, wenn es darum geht, Lernenden Prozesskenntnisse und dynamische Zusammenhänge in komplexen Systemen zu vermitteln. Ein wesentlicher Vorteil liegt für die Teilnehmenden im Planspiel darin, dass die Auswirkungen ihrer Entscheidungen und ihres Handelns in komplexen Situationen erlebbar werden. (Blötz, 2015: S. 15)

Dass das "Erleben" auch wichtig für das Verstehen und Merken ist, wird auch immer wieder durch die in der Lernpyramide dargestellte Korrelation zwischen der Informationsaufnahme im Verhältnis zur Wahrscheinlichkeit des Merkens kommuniziert. So wird dort angeführt, dass diese Wahrscheinlichkeit über "nur hören", "nur sehen", "sehen + hören", "nacherzählen/erklären" und "selber machen" kontinuierlich ansteigt (vgl. z.B. Hochschule Schmalkalden, o. J.: o. S.; Die Zeit, 2002: S. 37). Die in diesem Zusammenhang immer wieder genannten Prozentzahlen sind jedoch nicht durch Forschungsergebnisse belegt. Auch ist dieses Konzept nicht generalisierbar. Dennoch zeigen die langjährige Erfahrung des Autors mit Planspielen, aber auch die heutigen didaktischen Konzepte in der Hochschulausbildung, dass eine stärkere Integration der Teilnehmenden im Sinne des "Selbermachens" zu einem höheren Lernerfolg führt.

Auch das Planspiel "Collaborative Container Transport Game" basiert auf der Philosophie des Lernens durch Erleben und bietet eine solche Lernerfahrung im Rahmen der Wertschöpfungskette. Erlebbar wird durch das Planspiel der Unterschied zwischen typischen Marktlösungen und den angesprochenen kooperativ orientierten Verhandlungslösungen, und dadurch der Wert der eigenen und fremder Daten. Darüber hinaus zielt das Spiel darauf ab, „faire“ und im spieltheoretischen Sinne stabile Teilungsmechanismen kennenzulernen.

Spiel in 5er-Gruppen

Gespielt wird das Planspiel idealerweise in 5er-Gruppen. Wie bei klassischen Kartenspielen sitzen sich die Spielenden an einem Tisch gegenüber. Innerhalb dieser Gruppen repräsentiert jeder Spielende die Leitung seiner Container-Reederei, die über genau ein eigenes Schiff verfügt und den Transport einer ihm vorgegebenen Menge an Containern organisieren muss. Die Schiffe verkehren zwischen Antwerpen und Rotterdam. Typischerweise kann an mehreren Tischen gleichzeitig gespielt werden.

Aufgabe der Spielenden

Aufgabe der Spielenden ist es, dafür zu sorgen, dass die ihnen vorgegebene Menge an Containern möglichst günstig von Antwerpen nach Rotterdam transportiert wird. Dabei kann einerseits natürlich das eigene Schiff genutzt werden. Darüber hinaus besteht aber auch die Möglichkeit, mit seinen Mitspielern zu verhandeln, um – sofern sich die Verhandlungslösung als günstiger erweist - auch deren Transportkapazitäten zu nutzen. Die den Spielenden zur Verfügung stehenden Schiffe weisen verschiedene variable Kosten für den Transport eines Containers auf. Zudem sind sprungfixe Kosten zu berücksichtigen, die anfallen, sobald das eigene Schiff für den Transport eingesetzt wird.

Ablauf des Spiels

Gespielt wird das Spiel in zwei Runden. Runde 1 simuliert eine typische Marktlösung. Die Spielenden können mit den Mitspielern über Transportpreise verhandeln, dürfen ihre eigenen Transportkosten aber nicht teilen. Runde 2 simuliert anschließend durch das in dieser Runde erlaubte Teilen der eigenen Kosteninformationen im Rahmen der Verhandlungen mit seinen Mitspielern eine Kooperationslösung und hilft so, erlebbar zu machen, wie das durch die Kooperation ermöglichte Teilen von Informationen zu wirtschaftlich effizienteren Ergebnissen führt.

Welche Vorbereitung ist für Spielende erforderlich?

Das Planspiel kann ohne eine besondere Vorbereitung gespielt werden. Die Spielenden sollten lediglich einen Taschenrechner (gern auch der im Handy) sowie einen Stift und Schmierpapier nicht vergessen.

Wissenschaftliche Begleitung

Im Rahmen des Spiels erleben Studierende die Schwierigkeiten, Kosten zu teilen und dass das Offenlegen aller Kosten für jeden Spieler einzeln Vor- aber auch Nachteile haben kann. Damit kann das Spiel als Grundpfeiler für Diskussionen zum Thema Kooperation dienen, als Einstieg in die (kooperative) Spieltheorie verwendet werden oder einen eigenständigen Unterrichtsblock darstellen. Von wissenschaftlicher Seite untersucht die Autorin, ob und wie Studierende ihre Entscheidungen von Runde zu Runde verbessern, welche Kostenverteilungsmechanismen Studierende und Praktiker verwenden und bis zu welchem Maße Spielende Stabilität in den Lösungen betrachten.

Sollten Sie daran interessiert sein, dieses Planspiel auch einmal in Ihrem Unternehmen oder in Ihrer Lehrveranstaltung durchzuführen, so freut sich die Autorin über Ihre Kontaktaufnahme.

Literaturverzeichnis:

Blötz, Ulrich [Hrsg] (2015): Planspiele und Serious Games in der beruflichen Bildung, Berichte zur beruflichen Bildung, Bundesinstitut für Berufsbildung, 2015.
Die Zeit (2002): „Die sinnliche Spur der Erinnerung“, Nr. 48, 21.11.2002.
Göpfert, Ingrid (2022): Logistik der Zukunft, 9. Auflage, 2022.
Hochschule Schmalkalden (o.J.): Lerntechniken, in: Wissensdatenbank Wirtschaftsrecht. Verfügbar unter: https://hssm.hqedv.de/LernTechniken [Zugriff: 2024-06-09]

Zu den Personen:

Frau Dr. Layla Martin (https://www.tue.nl/en/research/researchers/layla-martin) ist die Entwicklerin des Planspiels "Collaborative Container Transport Game" und als Assistant Professor for Transportation and Logistics an der Technischen Universität Eindhoven (https://www.tue.nl/en) angestellt. Im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt sich Frau Dr. Martin mit verschiedenen operativen Forschungsproblemen in den Bereichen Verkehr und Logistik. Ihr besonderes Interesse gilt dabei der geteilten Mobilität wie Carsharing, Bikesharing und Ride-Hailing.

Prof. Dr. Diethardt Freye ist Gründer von Explortal-Logistics und Inhaber der Professur "Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistikmanagement" (https://www.hs-osnabrueck.de/prof-dr-diethardt-freye/) an der Hochschule Osnabrück (https://www.hs-osnabrueck.de) und hat die Durchführung dieses Planspiels in diesem Semester erstmalig in das Modul "Supply Chain Management" integriert.